Öffentliche Kunst in Hannover

'Pisserellen-Pissoir'

Das Wandrelief besteht aus einer Bretterwand und vermutlich Bestandteilen einer Waschmaschine und einigen anderen Utensilien und erreicht so den Eindruck einer eigenartigen Kombination eines improvisierten Verschlages und einer Maschine. Ehemals zierte dies den Eingang einer Nachtbar namens Liquid an dieser Stelle.

Architektonisch ist diese finstere Ecke die größte Problemzone des Bereiches um Bahnhof und Raschplatz. Weil die Berliner Allee hier viel zu breit ist und die Decke viel zu niedrig, kommt hier nur wenig Licht hin. Vom Raschplatz her wird der Bereich durch eine breite Treppe weiter eingeengt, unter der sich eine neuere Polizeistation mit blinden Scheiben befindet, die ebenso verlassen wirkt wie die ältere Polizeistation mit blinden Scheiben ein Stück weiter unter der Berliner Allee. Psychologisch führt all dies dazu, daß Passanten diesen Bereich weitgehend meiden und die Passerelle entweder bereits im Bahnhof vor der ebenfalls finsteren Zone verlassen, welche im Bereich der U-Bahnstation liegt, oder aber spätestens im Bereich des Raschplatzes.

Der Geruch in diesem Bereich weist eindeutig darauf hin, daß weniger sensible Zeitgenossen diesen Bereich ausgiebig als Urinal nutzen. Jedem Passanten wird so bereits aus gewissem Abstand klar, daß er hier nichts zu suchen hat, wenn er nicht öffentlich seine Notdurft verrichten will.

Während Marcel Duchamp ein Urinal zum Kunstwerk ernannt hat, zum 'ready made', läuft es hier umgekehrt, das Relief wird zum Urinal, öffentlichen Pissoir - welch Ironie des Schicksals, welch Umkehrung der Situation, nicht nur des Objektes, auch der Akteure.
Damit wird dieser Bereich zum Mahnmal des kompletten Versagens von Stadtgestaltung und Stadtarchitektur. Statt zweier verlassener Polizeistationen wären hier sicherlich erst einmal kostenlose und saubere (selbstreinigende?) Klos angebracht gewesen. Und sollte die neue Station nicht verlassen sein, so sollten doch wenigstens klare Scheiben und Licht und Menschen darauf hinweisen, daß hier noch etwas lebt. Überhaupt 'mehr Licht' - schon Goethe hat es doch geahnt, was hier gebraucht wird...

Um gleich noch weitere architektonische Probleme der Pisserelle anzusprechen, so ist ja anzumerken, daß diese über größere Bereiche in den letzten Jahren erneuert wurde. Über das Ergebnis kann man im Vergleich mit dem Original nach dem U-Bahn-Bau sicher über manche Aspekte weidlich streiten. Die neue graue Variante wirkt jedenfalls leichter und transparenter als die alte. Es ist allerdings geradezu zynisch, die Passerelle nach der Künstlerin und Ehrenbürgerin Niki de Saint Phalle umzubenennen, bei der gleichen Aktion aber die meisten Kunstwerke in einer Art Flurbereinigung zu beseitigen. Gut, durch das Einheitsgrau wird nun die Aufmerksamkeit der Passanten mehr auf die bunten Auslagen der Geschäfte gelenkt. Aber Leute - es ist nicht alles Kommerz! Wie beim öffentlichen Urinal riecht der zufällige Passant den Beschiß.
Die Entsorgung der Brunnen und Kunstwerke in der Passerelle ist eine kulturelle Schweinerei. Dieses dann auch noch nach Niki de Saint Phalle zu benennen, ist geschmacklos - treffender wäre sicher soetwas wie 'Schopping-Schlauch' gewesen ;o)

Und was passiert dann 2011 am Kröpcke? Als hätte man nichts aus den finsteren, verpißten Ecken am Raschplatz gelernt, wird dort ein ganzer, vormals offener, heller Bereich oben zubetoniert. So bekommt die Passerelle nun auch am anderen Ende einen größeren, unheimlichen Bereich. Immerhin ist der von kleineren Geschäften etwas besser belebt als der Raschplatz - doch gab es da ursprünglich auch viele kleinere Geschäfte in den finsteren Ecken, von denen die meisten offenbar nicht überleben konnten. Da zeichnet sich doch ein neues, trostloses Loch ab - mit einem übrigens recht einfallslos renovierten Gebäude darüber, was so nun endgültig zum stromlinienförmigen Einkaufsklotz verkommt, wie man es ja auch schon im Bahnhofsbereich realisiert hat.

2012 hat man nun mit einer kosmetischen Sanierung des Bereiches jenseits des Raschplatzes begonnen, also Kunst und alte Polizeistation weg, Betonmauer hin, man wird sehen, wie das weitergeht, wenn die Sanierung beendet ist.

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