Öffentliche Kunst in Hannover

Liebespaare bitte hier küssen

Im deutschen Straßenverkehr gibt es kaum etwas Wichtigeres als Verkehrs- und Hinweisschilder. Die Beziehung zum deutschen Schilderwald ist allerdings beim durchschnittlichen Bürger irgendwo zwischen gespannt, fasziniert und inniger Liebe. Besonders bei Autofahrern besteht immer eine innige Beziehung, die sich erst mit dem Aufkommen von Navigationsgeräten etwas gelockert hat. Geschwindigkeitsbegrenzungen hat man schon immer gern mal ignoriert, auch Parkverbote etc. Hinweisschilder hingegen sind eher die Freunde der Bürger, die am fremden Ort eigentlich immer irgendwohin wollen, ohne zu wissen, wo das ist. Hinweis klingt auch gleich viel freundlicher als Verbot oder Gebot.

Vera Burmester nutzt bei dieser Installation diese innige Beziehung der Deutschen zu Verkehrs- und Hinweisschildern mit klarem Bezug zur konzeptionellen Kunst und zum Happening. Dieses findet statt, wenn sich Passanten von dem Hinweisschild angesprochen fühlen, was bei dem einen Anbringungsort in der beschaulichen Fußgängerzone der Altstadt oder auch direkt bei den Tischen des Cafés durchaus klappen kann. Auch beim Kino nach einem romantischen Film oder in einer Pause mag der Hinweis passend kommen. Wie das vor dem Fahrradladen aussieht, vermag ich nicht zu sagen, allerdings macht ja Fahrradfahren bekanntlich attraktiv - sieht man ja auch an mir ;o)

Der Erfolg des Hinweisschildes kann nicht nur durch den Anbringungsort recht hoch sein, sondern kann auch dadurch verstärkt werden, daß - für Hinweisschilder eher selten - um etwas gebeten wird. Bitten rufen eher freundliche Unterstützung des Ansinnens hervor als die Imperative gängiger Schilder, die zur Ordnung rufen oder für Ordnung sorgen wollen, Informationen vermitteln, die zu zielgerichteter Bewegung führen sollen. Die hier vorgeschlagene Handlung des Küssens weicht deutlich von üblichen Schildern ab und vermag so zu überraschen und bei Paaren vielleicht zu der gewünschten Aktion führen - oder bei einzelnen Passanten wenigstens zu einem Schmunzeln, mag Erinnerungen hervorrufenden oder gar Sehnsucht.

Die implizite Assoziation zum Verkehrsschild ist hier auch vermutlich kein Zufall, kann doch der Kuß bei Liebespaaren bisweilen als Vorspiel zum späteren Verkehr gelten. So oder so ist der Kuß der Austausch elementarer Gefühle und Emotionen, ein Zeichen der Zusammengehörigkeit, von Nähe und Vertrauen, Wertschätzung, nicht nur bei Liebespaaren.

Lustig wäre jedenfalls auch eine ebenfalls mögliche alternative Interpretation der Bitte, Liebespaare zu küssen, wenn Passanten beginnen würden, vorbeiflanierende vermeintliche oder echte Liebespaare zu küssen. Es müßte eben gerade nur eines vorbeikommen, damit der Passant herausfinden könnte, wie auf eine solche Zärtlichkeitsattacke reagiert wird ;o)

Eine weitere Interpretationsmöglichkeit wäre die Bitte, daß Liebespaare 'hier' also das Schild selbst küssen mögen - je nach Anbringungshöhe impliziert das dann auch sportliche Aspekte - zudem könnten sich je nach Kußhistorie des einzelnen Schildes auch hygienische Auswirkungen ergeben, womit dann auch ein interessanter Bezug zur immer mal wieder aufkommenden Seuchenhysterie gegeben ist. Mit der Interpretation ergibt sich zudem auch gleich wieder ein direkter Anknüpfungspunkt zur innigen Beziehung der Deutschen zu ihrem Schilderwald, was natürlich nicht nur auf Liebespaare beschränkt ist.

Meine Idee daher für eine Fortsetzung der Aktion: 'Bitte küß mich, ich bin ein verwunschenes Hinweisschild ...' Denn schon Bettina von Arnim sprach: 'Ich will geliebt sein, oder ich will begriffen sein. Das ist eins.' Und so würde es ja auch jedes Hinweisschild empfinden, wenn es etwas empfinden könnte.

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