Öffentliche Kunst in Hannover

Hellebardier (Guadeloupe)

Eine Hellebarde oder Stangenaxt ist eine Stoßwaffe aus dem Mittelalter. An einer Stange sind an der vom verwendenden Kämpfer abgewandten Seite Metallspitzen befestigt, sowohl geradeaus zum Erstechen als auch seitlich, axtartig zum Erschlagen oder hakenförmig zum Zerreißen. Der daran ausgebildete Kämpfer mit einer solchen Waffe hieß dann Hellebardier.

An der Skulptur sind die Spitzen oben solchen Metallspitzen ähnlich. Der untere Teil ähnelt allerdings einem oder mehreren Humanoiden eigentlich nicht. Dafür gibt sich die massive, lackierte Stahlskulptur ähnlich schwerfällig wie das wohl die Hellbarden zu ihrer Zeit gewesen sein müssen, wenn sie mit Rüstung und einer so sperrigen Waffe unterwegs gewesen sind. Das Rot paßt vermutlich nicht zur Berufsbekleidung typischer Hellebardiere, schon eher zum blutrünstigen Ergebnis ihrer Tätigkeit.

Gegen den Erstausstellungsort vor dem Opernhaus gab es Proteste, vermutlich ähnlich denen bei den Nanas und ähnlich wie diese wurde auch diese Skulptur zu einem viel und gern gezeigten Wahrzeichen von Hannover. Es bringt vor allem Farbe und neue Formen in die Stadt, was zunächst wohl einige Bürger schreckte, dann aber doch im Laufe der Jahre wie bei anderen moderneren Skulpturen eine wichtige Funktion für Hannovers Selbstverständnis ergab - wie wohl vom Spender Bernhard Sprengel bezweckt, wurde Hannover weltoffener und hat sich gar mit der Expo 2000 zur kleinsten Weltstadt auf dem Globus entwickelt. So sind es wohl gerade diese, aus heutiger Sicht nur noch schwer nachvollziehbaren Schockerlebnisse, die Hannover aus dem gräulichen Nachkriegsalptraum erweckt haben, lebendiger gemacht haben, zu einer Stadt mit vielen interessanten Details, die dann auch wieder versöhnen mit den nicht selten weniger gut gelungenen Projekten, die es aber wohl in jeder größeren Stadt gibt, die über Jahrhunderte im Ausgleich unterschiedlicher Interessen gewachsen ist.

Wie aber konnte es gelingen, mit einer stark abstrahierten Skulptur eines mittelalterlichen militärischen Berufes einen wichtigen Zeitraum in Hannovers Geschichte zu markieren? Gut, mit der Waterloosäule, dem größenwahnsinnigen Sockel des Fackelträgers (ein paar Meter weiter vom Hellebardier zu sehen), dem Husaren-Ernst-August am Bahnhof, den Denkmälern von Generalen oder Feldherren fällt das thematisch nicht so sehr aus dem Rahmen. Allein die Ausführung und die grelle rote Farbe stechen hervor und setzen eine deutliche Landmarke, die Hannover zu der Zeit auch gut brauchen konnte. Die starke Abstraktion fordert zudem einen anderen Umgang mit Kunst als etwa Reiterstandbilder oder Hirsch- oder Wildschwein-Skulpturen oder auch die nur leicht abstrahierten Figuren von Kurt Lehmann, die die Hannoveraner offenbar zu der Zeit auch nicht auf diesen Kulturschock vorbereiten konnten. Aber so ein Schock reißt aus dem grauen Einerlei heraus und belebt. Statt wie eine Hellebarde die Gedärme herauszureißen, den Schädel zu zerschlagen, vermochte diese Skulptur wohl eher aus dem provinziellen Dörnröschenschlaf zu reißen und in den Schädeln neue Gedanken entstehen zu lassen. Interessant, was man aus der Darstellung eines mittelalterlichen, blutrünstigen Berufes alles machen kann.

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