Öffentliche Kunst in Hannover

Fackelträger

Auf einem hoffnungslos überdimensionierten Sockel (18m) steht die Skulptur des Fackelträgers. Oder um es etwas blumenreicher zu formulieren: Der phallusartige Sockel ejakuliert quasi den Fahnenträger oben raus ;o)

Da drängt sich natürlich sofort der Schwanzvergleich mit der Waterloosäule auf, wo offenbar abgekupfert wurde. Im direkten Vergleich ist der Sockel aber für den Anspruch des Tausendjährigen Reiches enttäuschend - dort 40m für den Gewinn einer Schlacht gegen dann doch relativ kümmerliche 18m hier. Dort balanciert eine Viktoria, Siegesgöttin auf einer Kugel, hier ein knackiger nackter Bursche mit schlaffem Gruß, schlaffem Glied und schlaffer Fackel. Siegessicher, potent und machtvoll wirkt das nicht.

Und was angeblich ein Hitlergruß sein soll, wirkt auch eher wie ein lockeres Winken an die Segler und Paddler. Wie eine Fackel richtig selbstbewußt gehalten wird, zeigt etwa die Freiheitsstatue in New York.
Einst war der athletische Typ mit knackigem Hintern und Kurzhaarschnitt sogar kitschig vergoldet, was dann endgültig jeden Anschein von Pathos und Kraft konterkariert haben dürfte. Den dunkel-finsteren Eindruck hat man ihm erst durch Entgoldung bei einer Renovierung verpaßt - was von daher eine Neuinterpretation von 1982 ist, die mehr seine dunkle Seite hervorhebt.
Im Originalzustand aber auch heut noch sieht es doch so aus, als hätte Scheuernstuhl den Nazis hier ein ziemliches Ei ins Nest gelegt - mutig.

Die Vergangenheitsbewältigung nach dem Krieg ist weiter unten bei dem 'heroischen' Spruch zu bewundern. Geradeso wurde das Hakenkreuz aus dem Siegerkranz geschliffen, statt der ganze obszöne Sockel auf ein solides Maß von ein oder zwei Metern. So wird der Sockel aus heutiger Sicht auch zum Mahnmal der damals verpaßten Vergangenheitsbewältigung nach dem Krieg. Fairerweise muß man aber auch sagen, daß damals die 'normale' Bevölkerung gut damit zu tun hatte zu überleben. Ein weiterer skurriler Versuch aus jüngerer Zeit ist eine kleine zweisprachige Hinweistafel die (dezent) angebracht ist, die zudem auch wohl noch die Skulptur obendrauf falsch und sehr oberflächlich interpretiert.

Auf Initiative der Briten hin wurde jedenfalls als 'Hilfe' zur Aufarbeitung dem Sockel gleich gegenüber auf der anderen Seite der Straße ein Gräberfeld entgegengesetzt, mit kurz vor Kriegsende ermordeten Zwangsarbeitern, die hierher, praktisch in die Mitte der Stadt umgebettet wurden.
Und quasi als ironischer Kommentar wurde dem Glenkiln Cross ein Stück weiter dann 1960 von Henry Moore auch noch ein überdimensionierter Sockel untergeschoben, längst nicht so obszön wie dieser hier, aber schon eine auffallende Parallele bei der räumlichen Nähe.

Und der Sockel zeigt heute Risse, die von Gras besiedelt werden, das belebt den monumentalen Stein, wobei man nicht zu denken braucht, daß da jemals wirklich Gras drüber wachsen wird.

Um nochmal auf Scheuernstuhls Typen mit der schlaffen Fackel zurückzukommen - wie bei anderen Skulpturen scheint Scheuernstuhl auch hier ein gern, insbesondere zu der Zeit, tabuisiertes sexuelles Thema verschlüsselt zu haben, und zwar Impotenz bei gleichzeitigem Zwang zum dominanten, repräsentativen Auftritt - ein Balanceakt, der extremen Streß zur Folge hat, der wiederum zur Impotenz und Frustration über das eigene Unvermögen, die eigenen Defizite führt. Die originale Vergoldung zusammen mit der Präsentation eines ins Lächerliche überzogenen athletischen Körpers, der irgendwie dann doch nicht allzu Testosteron-gesteuert wirkt, schneidet auch peripher das Thema von typischen Vorurteilen gegenüber Homosexualität an.
Hier zeigt sich innere Unsicherheit der eigenen Widersprüchlichkeit, der Selbstzweifel, nicht den eigenen oder anderen Ansprüchen gerecht zu werden. All dies wird versucht, hinter einer aufgemotzten, nicht weniger widersprüchlichen Fassade zu verstecken. All dies ist bei dieser Skulptur offensichtlich.

Und natürlich projiziert Scheuernstuhl hier auch oder vor allem die inneren Widersprüche der Nazischergen um Hitler - entsprach da etwa einer der Typen dem eigenen Ideal vom harten, heterosexuellen, blauäugigen Blondchen mit Muskelschwellung? Und was subjektiv an einem selbst am meisten stört, wird dann zum Feindbild stilisiert. Nun wird natürlich nicht jeder, der sich selbst haßt, an sich selbst (ver)zweifelt, zum Massenmörder, aber ich glaube, es hilft. Die einen schießen lieber auf sich, die anderen machen stattdessen ihre Mitmenschen zu Opfern des eigenen Wahns.

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