Öffentliche Kunst in Hannover

Ernst August I

Ernst August I (1771/1851) wurde 1837 König von Hannover. Eine seiner ersten Amtshandlungen war der Verfassungsbruch, gegen den dann die Göttinger Sieben protestierten und entlassen oder aus dem Land vertrieben wurden. Der Herr regierte bis zu seinem Tod. Noch heute weilen seine Überreste in Hannover in einem Mausoleum im Berggarten.

Ernst August wird hier dargestellt in Husarenuniform auf einem Hengst. Der Sockel kommt aus dem Harz und trägt auf der einen Seite als Inschrift seinen Namen und Titel, auf der anderen: "Dem Landesvater sein treues * Volk".
Die freundlichere Interpretation geht davon aus, daß hinter 'Landesvater' lediglich ein Satzzeichen vergessen wurde. Das wäre dann eine Widmung vom Volk für den Landesvater, der zur Aufstellung allerdings bereits sein Sohn Georg V war.
Die weniger freundliche Interpretation geht davon aus, daß der Sockel das treue Volk repräsentiert, daher auch die lokale Herkunft aus dem Harz. Der im Dialekt verdativte Genitiv stellt den Bezug zum Landesvater her, in dem Falle den darüber stehenden Ernst August, der versucht, mit Pferd und Uniform das Volk niederzutreten, also ein Bezug auf den Verfassungsbruch.
Man kann nun vermuten, daß ein Satzzeichen nicht versehentlich verlorengeht, zumal ein scheinbar überflüssiges Trennzeichen zwischen 'treues' und 'Volk' eingefügt ist, als würden die beiden Worte so einfach nicht zusammenpassen. Von daher ist zu vermuten, daß die Doppeldeutigkeit Absicht ist, ohne den Sohn zu verärgern, welcher die Skulptur eingeweiht hat, gleichzeitig aber das gespannte Verhältnis zwischen Ernst August und dem Volk verschlüsselt zum Ausdruck zu bringen.

Prophetisch ist immerhin auch der Aufstellungsort vor dem Bahnhof. Wenn schon nicht Ernst August selbst, so ist es doch sein Sohn, der bereits 1866 das Land verläßt. Die Regierungszeit der Welfen ist damit beendet und die Preußen fällen die Entscheidungen. Die Welfen-'Sippe' hat übrigens noch über lange Zeit versucht, in der Region wieder an die Macht zu kommen.

So ist die Skulptur also eher als Mahnmal gegen monarchische Alleinherrscher angemessen aufgestellt. Da die Skulptur ja auch nicht der Repräsentierte selbst ist, wäre ein Schleifen auch nicht angebracht. Leider wird das an anderen Orten, teilweise sogar damals beim Anschluß der DDR an die BRD verwechselt, was dann leicht die Zerstörung solch portraitierender Skulpturen von nicht mehr beliebten Herrschern oder Persönlichkeiten zur Folge hat.

Der aktuelle Ernst August, natürlich auch zu den Welfen gehörend, übrigens ist in der Presse als der Pinkelprinz oder auch Prügelprinz bekannt geworden. Ersteres, weil er im Rahmen der Expo 2000 an den türkischen Pavillon gepinkelt hat, und letzteres, weil er bei Prügeleien mit Regenschirm oder Faust aufgefallen ist. So ist also auch der aktuelle Ernst August kein Aushängeschild für die Region.

Immerhin gilt 'Bei Ernst August unterm Schwanz' oder kurz 'Unterm Schwanz' als traditioneller Treffpunkt in Hannover neben der Kröpcke-Uhr, wenn einem nichts besseres einfällt. Dabei ist zu bedenken, daß die Skulptur anfangs eingezäunt war, um das Volk fernzuhalten. Zudem ist unter dem Schwanz vom Ernst August der Hengst und dann der massive Sockel. Selbst der Schweif des Hengstes steht kaum über. So macht man sich also schon lange in etwas schlüpfriger Weise über den einstigen ungeliebten Herrscher lustig.

Oder steckt mehr dahinter? Denn was aber sieht man da eigentlich, ohne den historischen Hintergrund zu berücksichtigen, also quasi als normal ungebildeter Passant? Ein Mann mit enger Strumpfhose, Uniform, Reitpeitsche und Puschel an der Mütze und mit gezwirbeltem Bart sitzt auf einem Hengst und guckt streng. Ich denke, in der Aufmachung würde Ernst August heute noch in Schwulenkneipen oder in der SM- und Fetischszene diesen oder jenen treuen Anhänger für einen Ritt oder einem Spielchen mit Peitsche oder Puschel gewinnen können. Obgleich da in der Hinsicht biographisch nichts weiter bekannt ist, kommt einem das irgendwie beim Anblick der Skulptur und den Treffpunkt 'Unterm Schwanz' in den Sinn - mag sich aber auch um durch Film und Fernsehen suggerierte Vorurteile gegen diese Szenen handeln, die ich hier nicht schüren will. Anders als zu Ernst Augusts Zeiten gibt es ja eine Verfassung - und solange es anderen nicht schadet, darf da ja heute zum Glück jeder wie er mag, ohne auf einen erzreaktionären Herren mit Puschelmütze hören zu müssen, wenn man nicht will.

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